Archaismen – seltene Wörter, die vom Aussterben bedroht sind

Wenn alte Wörter immer mehr in Vergessenheit geraten, der allgemeine Gebrauch abnimmt und sie gar vom ‚Aussterben‘ bedroht sind, spricht man von Archaismen. Der Begriff lässt sich aus dem Altgriechischen ableiten – ἀρχαῖος ~ archaĩos – was mit ehemalig oder alt übersetzt werden kann. Die Endung ‘mus’ ist wiederum lateinischen Ursprungs.

Ein simples Beispiel für ein solches Wort: Das Fünfpfennigstück wurde von unseren Urgroßeltern noch ‚Sechser‘ genannt. Dass man ein ‚Fünferl‘ sechser nennt, klingt doch völlig unlogisch! Wenn man aber weiß, dass der Ausdruck noch aus Zeiten rührt, in denen das Dezimalsystem herrschte, erschließt sich einem das plötzlich.

So sterben also Wörter aus – weil sie sich uns nicht mehr erschließen, weil wir sie nicht mehr brauchen, weil sie ‘unmodern’ geworden sind oder weil sie sich durch andere Wörter ersetzt haben.

Einige Archaismen wie Techtelmechtel, Sapperlot, Plumeau, Guffen, Adies oder im Anschluss an diesen Artikel ‚Grisette‘, habe ich auf meinem Blog bereits ausführlich beschrieben.

Zusätzlich zu einigen Archaismen finden Sie weiter unten auch ein ‚Kleines Lexikon flapsiger Wörter‘.

‘Fast vergessene Wörter’ auf meinem Blog:

Techtelmechtel

Hagestolz

Grisette

adies

Plumeau

Guffen

Matz – in früherer Bedeutung

Sappralott

Vergessene Wörter – die Matz

Die ‘Matz’ die Matz ist ein Wort mit weitrechender Bedeutung. Das lernte ich, als ich unterwegs war und einen Döner aß. Die Dönerbude war gut besucht, die Schlange hungriger Menschen reichte bis auf die Straße. Half nichts, ich stellte mich an.
Kaum war ich da, ratterte ein Moped heran. Der Fahrer entledigte sich seines Helms, das grinsende Gesicht eines Achtzehnjährigen kam zum Vorschein.
„A do!“ (auch da), rief er den beiden Jungs zu, die vor mir in der Reihe warteten und stellte sich hinter mich.
Die drei Jungmänner kannten sich also, und sie schienen alle drei in Autowerkstätten zu arbeiten. Es gab viel zu erzählen, und das taten sie dann auch. Und zwar in tiefstem bayrischem Dialekt, sehr lautstark und über meinen Kopf hinweg.
Zuerst einmal ging es um ein Mädel. Ein vierter, nicht anwesender Jungmann hatte, wie ich erfuhr, eine gewisse Silvie angebaggert. Silvie hatte ihn aber wohl nicht erhört, was die anwesenden Jungmänner nicht wirklich verwunderte. Ihrer Meinung nach war der Nichtanwesende nicht besonders attraktiv und auch sonst nichts Besonderes. Lachend kamen sie zu dem Schluss, dass sie selbst bei Silvie bestimmt gelandet wären.
Ich dachte gerade so bei mir, dass, wenn ich Silvie wäre, garantiert keinen der vier Burschen bei mir landen könnte, auch nicht, wenn ich erst fünfzehn wäre – da bekam das Mädel ganz vorne in der Reihe endlich ihren Döner ausgehändigt. Sie drehte sich um und sah einen der Jungs aus großen Augen ganz verknallt an.
„Servus“, hauchte sie.
„Servus“, brummte er zurück.
Okay, ich begriff, dass mein Geschmack was ‚Männer‘ betrifft hier nicht unbedingt relevant war.
Das Mädel war fort, wir rückten in der Reihe alle einen Platz nach. Der hinter mir besann sich nun auf seinen Hunger: „Hm, wos soll i etzt fress‘n?“, sinnierte er lauthals. „‘n Döner oder a Currywurscht mit Pommes?“ – „I nehm an Döner“, bestimmte er und setzt nach: „Und wos soll i saufa? (saufen)“
Ich holte tief Luft. Fressen und saufen – war der Herr im Kuhstall aufgewachsen? Ich versuchte mir vorzustellen, wie er wohl wohnte und hatte ein ziemlich düsteres Bild vor Augen. Sah vor mir, wie er mit seinen Eltern am Tisch saß, wie geschmatzt und gegrunzt wurde.
Er entschied sich für ein Sprite. Damit war sein Kopf frei für neue Gedanken. Er erzählte von einem Mofa, das einer seiner Kollegen repariert hatte. Der hatte das aber irgendwie nicht richtig hinbekommen. Eine der Schrauben saß viel zu locker. Der hinter mir hatte daraufhin die Sache selbst in die Hand genommen und mehrmals fest angezogen. Das alles erklärte er sehr lautmalerisch anhand vieler fäkaldialektaler Wörter und endete schließlich mit: „ … etzt sitzt s‘ fest, de Matz, de rührt si nimmer!“ (Jetzt sitzt sie fest, die Matz, die rührt sich nicht mehr!)
Ich schloss die Augen, biss die Zähne zusammen. Matz! Das war so etwa das ordinärste Schimpfwort, das ich kannte. Eine Matz ist das Dreckigste Individuum unter den Frauen, das Allerletzte!
Endlich waren die beiden Jungmänner in der Reihe vor mir dran, bestellten, bezahlten und gingen, und damit verfiel auch mein Hintermann in Schweigen.
Meinen Döner aß ich nur noch mit halbem Appetit. „Saufen, fressen – die Matz!“, ging es mir immer wieder durch den Kopf.
Zuhause erzählte ich meinem Mann davon. Ich liebe doch mein Bayern. Und ich bin überzeugte Landbewohnerin. Aber wenn das dem durchschnittlichen Bildungsniveau unserer Dorfjugend entspricht …
Er legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter und erinnerte mich an Eisi Gulp (seines Zeichens Pantomime, Schauspieler und Kabarettisten) der u.a. durch die deutschen Lande zieht und Jugendliche über die Gefahr von Drogen aufklärt. Wir kennen ihn flüchtig – und was er über die Jugendlichen in den Städten erzählte, war noch viel, viel schlimmer als ‚saufen, fressen und eine Matz, die sich nicht festschrauben ließ‘.
Am Abend machte ich dann meine Fahrradrunde mit dem Hund. Unterwegs kam mir ein Mädchen entgegen, vielleicht zwölf Jahre alt. Sie strahlte mich an und grüßte freundlich – obwohl ich sie gar nicht kannte. Hundert Meter weiter zwei Jungens, vielleicht vierzehn und fünfzehn Jahre alt, die ich ebenfalls nicht kannte. Ich klingelte, sie traten zur Seite, sahen mich an und grüßten so freundlich wie zuvor das Mädel. „Hallo“, sagte der eine und der andere rief fröhlich: „Habe die Ehre!“
Ich musste lachen über den altmodischen Gruß aus dem Mund eines Jugendlichen und dachte: „Na siehst du, so schlimm ist es um unsere Jugend ja gar nicht bestellt.“
Doch weil mich das mit der ‚Matz‘ doch ziemlich mitgenommen hat, zog ich des Abends ein Wörterbuch zu Rate und ließ mich erstaunt belehren, dass der Ausdruck ‚Matz‘ viel weniger ‚schlimm‘ ist als ich dachte. Meine Eltern stammen nämlich aus Franken und dort wird der Begriff als hässliches Schimpfwort gebraucht.

Im übrigen Sprachraum bedeutet Matz hingegen
1.    männliche Person, die albern, eitel und weibisch ist,
2.    Person, die immer wieder versagt,
3.    männliches (zahmes) Schwein,
4.    Person, die nicht sehr auf Sauberkeit bedacht ist, die z.B. das Tischtuch während des Essens beschmutzt oder gar besudelt,
5.    korpulente Person,
6.    zahmer Sing-Vogel (Piepmatz)
7.    kleinwüchsige Person, auch scherzhaft und im übertragenen Sinne ‚niedlicher kleiner Junge‘,
8.    Matz gilt auch als Abkürzung des Namens Matthias (Matze)
9.    oder ist eine spöttische, aber zugleich anerkennende Bezeichnung für eine freche, redegewandte und eventuell ordinäre Frauensperson, die sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, gerne flirtet und sich verbal schlagfertig und humorvoll durchsetzen kann.

Und Redensartlich bedeutet in Oberbayern: „Des is a Matz“ – „das ist eine Freche.“
Na ja, damit ist der saufende, fressende Jungmann wieder ein stückweit rehabilitiert. Eine ‚freche Schraube‘, das geht ja noch an.

schraube-und-schraubendreher
Eine Schraube nennt man auch Matz