Heute möchte ich einmal wieder an ein fast vergessenes Wort erinnern – Hagestolz.
Unsere Altvorderen aus dem vorletzten Jahrhundert kannten es noch als Bezeichnung für einen eingefleischten Junggesellen. Selten wurde es auch in seiner weiblichen Form (Hagestolzin oder Hagestolze) für eine Junggesellin benutzt.
Gegen Mitte des letzten Jahrhunderts war es dann bereits mehr oder weniger in Vergessenheit geraten, inzwischen kennt es so gut wie niemand mehr. Dennoch ist es ein schönes und klangvolles Wort, das neugierig macht. Und ganz sicher sollten es AutorInnen oder LeserInnen historischer Romane kennen.
Auch wenn einen die zweite Silbe des Begriffs, nämlich ‘stolz‘, geradezu anspringt und man einen aufrechten, freiheitsliebenden, vielleicht auch selbstgefälligen Mann vor Augen hat – mit Stolz hat das Wort nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine sprachliche Weiterbildung des mittelhochdeutschen ‘stalt‘, die Vergangenheitsform des Verbs ‘stellen‘ bzw. des dazugehörigen Substantiv ‘Stelle‘. Das Bestimmungswort ‘Hag‘ (es bedeutet Hecke, Hain, Gebüsch) bezieht sich dagegen auf ein kleines Stück Grund, das von einem größeren abgetrennt wurde.
Die moderne Sprachforschung geht davon aus, dass der Begriff Hagestolz in dem einstigen Rechtsverhältnis begründet liegt, demgemäß der älteste Sohn den Hof erbte und die ihm nachfolgenden Brüder leer ausgingen. Meist blieb diesen dann nichts anderes übrig, als in ein Kloster einzutreten oder als Knecht (oder Magd) auf dem Hof des Bruders zu bleiben. Dort hatten er oder sie jedoch keinerlei Rechte, konnten auch nicht heiraten, denn dazu benötigte man die Erlaubnis der Obrigkeit. Die wiederum erhielt man nur, wenn man selbst einen Hof oder einen Handwerksbetrieb besaß und so sichergestellt war, dass man eine Familie ernähren konnte.
Sofern der Hof groß genug war, erhielt ein zweitgeborener Sohn in seltenen Fällen (und dann auch nur weit abgelegen) auf dem väterlichen Grundbesitz ein kleines, von einem ‘Hag‘ eingefriedetes Stück Land, auf dem er sich eine Hütte errichten konnte. So eine Junggesellenwohnstatt, die so bescheiden war, dass der Betreffende gewöhnlich keine eigene Familie gründen konnte, wurde in manchen Gegenden Hagestelle (Hagestolz) genannt. Später bezog man das Wort dann auch auf den Besitzer eines solchen Anwesens, und seit dem Hochmittelalter galt es schließlich ganz allgemein als Begriff für einen unverheirateten Mann im Alter ab fünfzig Jahren aufwärts.
Gegen Ende des Mittelalters hielt das sogenannte Hagestolzenrecht Einzug in die Rechtsprechung einiger deutscher Lande. Es beinhaltete, dass der Besitz eines ‘Eigenmannes‘, der ledig geblieben war, nach seinem Tod automatisch an den Leib- oder Grundherrn oder an den Landes- oder Stadtherrn fiel. In manchen Regionen hielt sich das Hagestolzenrecht bis ins 19. Jahrhundert.
In späterer Zeit, als man keine Erlaubnis der Obrigkeit mehr benötigte, um heiraten zu dürfen, bezeichnete der Begriff Hagestolz einen älteren Junggesellen, der aus Überzeugung unverheiratet geblieben war.
In der Welt der Literatur begegnen wir dem Hagestolz zum Beispiel in Goethes Faust I. Teil, wo geschrieben steht: „Und sich als Hagestolz allein zum Grab zu schleifen, das hat noch keinem wohlgetan.“
Oder in Heinrich von Kleists ‘Der zerbrochene Krug‘, wo es heißt: „Das ist der Vorteil von uns verrufenen hagestolzen Leuten, dass wir, was andre knapp und kummervoll, mit Weib und Kindern täglich teilen müssen, mit einem Freunde, zur gelegenen Stunde, vollauf genießen.“
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