Den Satz: „Ich wollte auch schon immer mal einen Roman schreiben!“, hören Autoren oft. Und meist kommt dann noch: „Da kann man sich wenigstens seine Zeit einteilen und kreativ sein!“ Als ob der Tag eines Schriftstellers plötzlich 48 Stunden hätte. Natürlich kann man nachts schreiben, dann muss man allerdings tagsüber schlafen … na ja. Und das mit der Kreativität ist auch so ein Ding. Gerade wenn man regelmäßig für Zeitschriften schreibt, so wie ich, hat man sich an einen ganzen Vorgabenkatalog zu halten! Kollegin Klecksi ging es ebenso …
Als Contra ins Zimmer kam, saß Klecksi am Tisch und grübelt trübsinnig vor sich hin. „Was’n los?“ fragte sie.
„Das ist los!“ Klecksi deutete auf den Brief, den ihre Lektorin geschickt hatte.
Contra las vor: „Sehr geehrte Frau Schreiber,
leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir nur noch Manuskripte mit 197 860 Zeichen veröffentlichen, bitte kürzen Sie beiliegendes Manuskript entsprechend. Außerdem schicken wir Ihnen vorab schon mal das druckfertige Cover für Ihren nächsten Roman mit. Schneiden Sie ihn genau darauf zu!“
Contra betrachtete das Bild. „Aha“, sagte sie. „Folglich muss die Heldin blond sein, ER schwarzhaarig, in der Geschichte muss ein Flugzeug, ein Berg, ein Apfelbaum und eine Rose vorkommen – denn all das ist auch auf dem Cover.“
„Genau“, knurrte Klecksi. „Jetzt sag mir mal, zum Donner und Kanonenrohr, wie soll ich da noch kreativ sein?!“ Klecksi zitterte vor Empörung.
Eine Weile war es still. Contra kringelte eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger, ein Zeichen, dass sie nachdachte. Schließlich streckte sie sich und fragte: „Warum? Ich meine, was hindert Dich daran, kreativ zu sein? Das blöde Foto etwa?“
„Na, ich bitte dich! Bei all den Vorgaben!“, fauchte Klecksi.
Contra zog die rechte ihrer Augenbrauen hoch und sah Klecksi sehr von oben herab an. „Ich dachte, du bist eine Profiautorin!“
„Bin ich ja auch!“
„Ich dachte, als Profi darf dir keine Aufgabe zu schwer sein?“
„Papperlapapp. Meine Figuren tun was sie wollen. Sie lassen sich nicht in ein Schema pressen! Außerdem braucht eine Schriftstellerin nun mal ihre dichterische Freiheit!“
„Blödsinn.“ Contra verschwand im Bad und kam mit einem alten Seidenstrumpf zurück. Den hielt sie Klecksi hin. „Also, nun sei mal kreativ. Was kannst Du damit alles machen?“
„Was soll man mit einem alten Strümpfen schon groß machen!“, zischte Klecksi.
„Siehst du, das ist ja die Kunst. Beweise mir deine Kreativität.“
„Nun, ich könnte ihn mir über den Kopf ziehen und dann bei meiner Lektorin einbrechen, um ihr mit Wonne eines über die Rübe ziehen.“
„Könntest du. Würde dir vielleicht eine gewisse Befriedigung verschaffen, wäre aber nicht unbedingt klug. Vergiss nicht, es kommt selten was Besseres nach – also, was noch?“
Klecksi grübelte. „Ich könnte lauter alte Strümpfe sammeln, aus Stoff eine Puppe nähen und die dann mit den alten Strümpfen ausstopfen.“
„Na siehste, wird ja schon! – Weiter!“
„Könnte ihn mit etwas Tee füllen und in die Teekanne hängen – als Teesieb! Allerdings erst, wenn er gewaschen ist!“ Klecksi hielt sich bedeutsam die Nase zu. „Oder ich könnte mein Frittenfett durchgießen, damit die Rückstände rausgefiltert werden.“
„Gut, gut! Und?“
Klecksi grinste: „Ich könnte ihn auch als Kondom benutzen – allerdings nur, wenn ich unbedingt schwanger werden will!“
Contra verdrehte die Augen. Und dann fragte Klecksi: „Aber was bezweckst du mit der Fragerei?“
Contra antwortete mit einer Gegenfrage: „Na, hättest du all diese wahnsinnig praktischen Erfindungen gemacht, wenn ich dir nicht `nen alten Strumpf vorgehalten hätte? Nee! Und daran siehst du, wie kreativ wir wirklich sind zeigt sich erst, wenn wir Vorgaben bekommen! Auf jeden Fall aber ist die Vorgabe kein Hinderungsgrund. Bloß musst du dann bereit sein, ein wenig von dem abzurücken, was dir immer so wichtig war.“
Contra stand bereits an der Tür. Ihren alten Strumpf hatte sie sich inzwischen als Schleife ins Haar gebunden. Jetzt hob sie die Hand und winkte. „Also Tschüs, Klecksi, bis nächstes Mal!“ Sie zog die Tür hinter sich zu.
„Arrogante Besserwisserin!“ zischte Klecksi und zerknüllte den blöden Brief.