Zum Welttag verstorbener Kinder

Der zweite Sonntag im Dezember wird seit vielen Jahren als Welttag der verstorbenen Kinder begangen. Unter dem Motto ‚Ein Licht geht um die Welt‘ stellen Menschen, die ein Kind verloren haben, um 19:00 Uhr eine brennende Kerze ins Fenster. Während die Kerzen in der einen Zeitzone erlöschen, werden in einer anderen neue entzündet. So brennen vierundzwanzig Stunden lang irgendwo auf der Welt Lichter zum Gedenken an die Kinder.
Die Lichter schlagen Brücken und symbolisieren, dass diese Kinder das Leben ihrer Lieben erhellt haben und dass sie nie vergessen werden.

Wir haben ein Märchen für trauernde Eltern, das ihnen vielleicht ein klein wenig dabei helfen kann, loszulassen …

Das Tränenkrüglein
In alter Zeit, lange, bevor es dich und mich gab, da lebte eine Witwe, der ward ihr einziges Kind vom Tod geholt. Sie vermochte sich vor Herzleid nicht zu fassen und weinte sich am Tag und in der Nacht die Augen aus. Es ergab sich aber, dass sie einmal des Nachts einen Botengang machen musste von einem Dorf zum nächsten. Der Vollmond schien auf das verschneite Land, aber sie sah die Schönheit nicht, denn ihre Augen waren voll von all den vielen Tränen um ihr Kind.
Doch auf einmal tauchte eine seltsame Geisterschar vor ihr auf, das war die Frau Perchta mit ihren Heimchen. Die zogen auf dem verschneiten Feld mit leisem Singsang an ihr vorüber, dann über den Heckenzaun und strebten nun dem Walde zu. Schon war der Zug bei den ersten Tannen angekommen, da trippelte ängstlich ein Kind mit nackten Füßchen im kalten Schnee der Schar hinterher und schleppte an einem schweren Krug.
Als es nun auch an besagten Heckenzaun kam, waren die anderen schon alle hinüber. So lief es denn ängstlich hin und suchte nach einem Durchschlupf im Flechtwerk, denn der Steinkrug war viel zu schwer für das zarte Kindlein, und es konnte ihn nicht drüber heben.
Da endlich erkannte die Frau, dass es ihr eigenes Kind war, und es drückte ihr beinahe das Herz ab. Sie rief es bei seinem Namen, aber das Heimchen hörte nicht hin.
Da fasste es die Mutter bei der Hand, doch das Kind erkannte sie nicht. Der Mutter blutete das Herz bei alle dem, und sie weinte und presste das Kleine an ihre Brust. Als aber die salzigen Tränen des Kindes Äuglein netzten, da erkannte es die Mutter und sagte wie im Traum: »O wie warm ist Mutterarm!« – »Ach Kind, willst du nicht kommen und im Haus deiner Mutter bleiben?«, fragte traurig die Frau.
Sprach das Kind: »Lieb Mutter mein, leg ab die Trauer und lass das Weinen. Denn alle Tränen, die du vergießt, die fließen über mein Grab in diesen Krug. Den muss ich nun nachschleppen, und er wird immer noch voller. Da schau nur, mein Hemdchen ist schon ganz nass, und die Kinder laufen mir alle davon. So gib mich doch endlich frei und lass mich los.«
Da weinte sich die Mutter einmal noch von Herzen aus, küsste den nassen Kindermund, hob ihr Liebstes über den Zaun und sah mit sehnendem Blick dem weißen Hemdchen nach, bis es fern in der hellen Schar untergetaucht war.
Wollte sie dann wieder einmal der Gram übermannen und wollten ihre Augen überfließen vor Kummer, so hat sie schnell an das Krüglein gedacht und an den Zaun, schluckte tapfer die Tränen herunter und trug nun ihr Weh ohne Frage und Klage.
Deutsches Volksmärchen

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Von Trennung, Tod und Trauer – Märchen zum Gelingen des Lebens

Angeline Bauer / Psychologie im Märchen by arp

Originalausgabe Gütersloher Verlagshau 2002

Preis 4, 99 € / Text ca. 110 Seiten

Zum Buch: Märchen sind keineswegs nur für Kinder gedacht und weit mehr als spannende Geschichten. Märchen schenken Trost. Märchen sind weise. Dieses Buch richtet sich an Erwachsene, die für sich Hilfe suchen oder Kinder in dieser schwierigen Lebensphase begleiten.

Wer sich einlässt und tiefer blickt findet in den traditionellen Märchen aus aller Welt Antworten auf Lebensfragen, Konfliktlösungen und Kraft zum Gelingen des Lebens.

In ‚Von Trennung, Tod und Trauer‘ geht es um Abschiednehmen, loslassen, und das Verarbeiten von Trennungsschmerz. Die Helden der Märchen, die Angeline Bauer im vorliegenden E-Book tiefenpsychologisch deutet, nehmen den Leser an der Hand, erleben und erleiden für ihn und mit ihm allerhand Geschicke und führen ihn hin zu einem erlösenden Ende.

An einem Punkt des Lebens, an dem man sich ganz und gar verloren glaubt, gibt das Buch Kraft und Hoffnung und Hinweise für das Gelingen des Abschiednehmens.